Samstag, 14. März 2009

Ich kenne Dich? Ich kenne mich? (Julia B.)



Wann kann ich sagen „Ich kenne Dich.“?


Du veränderst dich ständig, jede Minute bringt dich ein Stück

weiter. Nur merke ich das meistens nicht. Du bist nie vollendet.

Habe ich also überhaupt das Recht, zu behaupten, dass ich dich

kenne? Ich kenne das Bild, was ich mir von dir gemacht habe.

Aber dich? Ich kreiere mir ständig Bilder, Vorstellungen und

Einschätzungen meines Gegenübers.

Bist du gewissermaßen der, den ich in dich hineinsehe? Oder

der, den ich sehen will? Ist nicht irgendwann im gegenseitigen

Kennenlernen der Punkt erreicht, in dem die Kennenlern -

Quelle erschöpft ist, in dem man sich mit dem, was man kennt,

zufrieden gibt, sich in seiner Interessiertheit bequem zurück

lehnt und denkt „Ich kenne Dich“? Ich fälle ein Urteil, obwohl

ich lediglich einen Bruchteil kenne. Durch die Bilder, die ich

mir von anderen mache, weisen ich sie einer Rolle zu. Ich

verhindere damit zwar nicht, dass der andere sich verändert

(hoffe ich), aber ich begrenze durch meine Festlegung die

Möglichkeit, dass der Andere sich in mir verändert.

Ich habe auch von mir selbst Vorstellungen, wie ich denn sei.

Manchmal bin ich dann ganz überrascht, wenn ich Erfahrungen

mache, die sie widerlegen.

(„Ich dachte eigentlich immer, ich….“)

Mache ich mich dadurch selbst unfrei? Die Selbstreflexion ist

ja wichtig um mich selbst greifen zu können, um

einigermaßen Standkraft zu finden. Die Summe einer Vielzahl

von Momenten ist die Veränderung in dir.


Und in mir.


Ich will die Veränderung in dir sehen.


Und in mir.


Ich will auch, dass andere von mir wahrnehmen, dass ich mich

verändere, entwickle. Wahrscheinlich habe ich deswegen so

eine Allergie gegen Sätze, die so beginnen:

„Ich bin ja ein Mensch der, ….“ oder: „Der Soundso, der ist ja

soundso“.

Ich will keiner Rolle, keinem Typus zugewiesen werden. Und

das auch nicht bei anderen tun. Das passiert mir bestimmt

ganz oft, unbewusst und ohne dass ich es will.


Und woran liegt das?


Daran, dass ich ein Mensch bin.

Und als ein solcher, mit (leider) beschränktem Bewusstsein und

dem Bedürfnis nach Greifbarkeit in der Begegnung, kann es

leider nicht gelingen, jedes Mal mein Bild, oder besser: meinen

Eindruck, zu erneuern, zu überarbeiten oder auch: ihn zu

„updaten“.

Ich will meinen Gegenüber ja fassen und für mich greifbar

machen um ihm begegnen zu können. Es kann sogar richtig

störend und anstrengend sein, wenn ein Mensch nicht

„greifbar“ ist. Die selbstgemachten Bilder können mich

verblenden, bzw. blöd dazwischen funken, wenn ich versuche,

dich im Jetzt zu sehen und das was du jetzt gerade bist

wahrzunehmen. Vielleicht kann ich mir das hin und wieder

ins Bewusstsein rufen, genau hinschauen, mein Bild

überprüfen und ein Update starten:


Ich will keine Bilder gestalten,

Stattdessen Vielfalt entfalten,

Denn der Moment verändert sich

Und er verändert

Dich und mich.


Einen wunderbaren Text zu diesem Thema hat Max Frisch geschrieben:

Max Frisch, Tagebuch 1946 – 1949; „Du sollst dir kein Bildnis machen“

1 Kommentar:

Jelena hat gesagt…

und kann man dann sagen, dass man sich selber kennt? jemals kennen wird? oder ist mit dem wort "kennen" nicht einfach auch nur dieses "Bild" was man von sich und anderen hat gemeint?
denn wenn der fortwährende prozess der verwandlung/entwicklung des ichs gemeint ist, den irgendjemand -ich selbst, meine zu kennen, sollte man vielleicht von ER-kennen sprechen...
denn den anderen zu erkennen, bedeutet auch zu erkennen, dass dieser in einem unendlichen prozess steht... vielleicht.
jedenfalls eine spannende sache!