Donnerstag, 19. Februar 2009

Lieber Herr Kunze:



"Sagen Sie doch Ihrer Generation einmal die dreitausend Jahre alte Wahrheit, dass ein moralisches Verhalten zur Welt nur dann möglich und nur dann förderlich ist, wenn man die Schweinerei des Lebens, die Mitschuld an Tod und Sünde, kurz die ganze Erbsünde auf sich nimmt und darauf verzichtet, die Schuld immer bei anderen zu sehen. So wie Ihr Jungen an nichts schuld sein wollt und für alles die Väter verantwortlich macht, so haben die Väter während des Krieges bald die Russen, bald die Italiener, bald den Kaiser, bald die Juden für alles verantwortlich gemacht. Ihr tut genau dasselbe, habt nichts gelernt, wollt ja auch nichts lernen, Latein oder Erdkunde oder Rechnen sind ja scheußliche Zumutungen, unter denen man zusammenbricht.

Ich muss das einmal einem Zugehörigen Ihrer Generation sagen. Seit ich erwacht bin, sehe ich die Welt voll von unerhörter Schweinerei und sehe, wie jeder für alles den andern verantwortlich machen will, die Nationen, die Stände, die Parteien. Und seither predige ich immer wieder: "Die Welt geht nur da um einen Schritt vorwärts, wo ein Mensch oder ein Stand oder ein Volk die Schuld bei sich selber sucht und in sich selber Ordnung zu schaffen versucht."
Das gilt für Ihre Nachkriegsjugend ebenso, wie es bisher für alle Generationen der Menschen gegolten hat. Wenn die Jugend nicht mittun will und von vornherein alles besser weiß und alles von anderen getan sehen will, so streicht sie sich eben aus dem Buch des Lebens aus. Ich sehe schon heute längst nicht mehr die große Schuld der Zeit bei den guten dummen Soldaten, bei ihren Vätern, sondern sehe ein größeres Übel im Nichtdenkenwollen und Nichtstunwollen bei den Jungen."

Montag, 9. Februar 2009

Gesundes Leben im Sonderangebot


Wir suchen Antworten auf brennende Fragen der Zeit.
Schon hier stellen sich enorme Schwierigkeiten in Bezug
auf Entscheidung und Auswahl: Sogar im Penny gibt es nun
Bücher über "gesundes" Leben und wie man seinen Alltag
gut und erfolgreich meistern kann. Daneben
Nahrungsergänzungsmittel und Bioprodukte aus Israel.
Das alles zum einem Sonderangebot. Gesundes Leben im
Sonderangebot. Warum dann soviel Krankheit und Leid ?
Es ist eine Flut von Angeboten und wir scheinen in
ihr zu ertrinken. Wo anfangen und was wählen ?

In der "Thalia": Berge von Büchern. Soweit das Auge
reicht Literatur. Wir haben Massen an
Antworten und dennoch keine wirkliche Lösung:
Die Regale voll Nahrung und dennoch verhungern
wir an gedeckten Tischen.
Wie wird sich unter diesen Aspekten das "Menschliche"
entwickeln und welchen Einfluss hat der Einzelne noch,
wo doch die Komplexität immer mehr zunimmt und
eine Entscheidung immer schwerer fällt angesichts der
Undurchsichtigkeit vieler Prozesse.


H.Hesse schreibt in einem Brief an einen Verwundeten:
"Mag jeder von uns sich das künftige Europa, die
künftige Welt vorstellen, wie er wolle, die Hauptsache
ist, dass jeder dabei gewillt ist, sein Bestes für das
Ganze zu tun, und das kann jeder nur, indem er seine
eigenen Kräfte pflegt und sammelt, indem er in seinem
persönlichen, in seinem nationalen Wesen Ordnung
schafft und Fäulnis ausrodet. Kurz, es muss jeder
Denkende jetzt sich ein Bild von der Zukunft zu machen
suchen - nicht von der Zukunft Europas, das ist weniger
wichtig, aber von seiner eigenen. Im Gedanken an all
das Blut, das tagtäglich fließt, muss ein jeder von uns
sich im Herzen prüfen und darüber klar werden, wo und
wie er eigentlich zu dem Neuen beitragen könne, das
werden soll.

[...]Aber das ist nur der Anfang, das ist nur die Vorbereitung
der Herzen zum Guten. Wäre sie bei allen da und bei allen
echt, so wäre damit die Welt vollkommen, und wir könnten
ein tausendjähriges Reich der Liebe beginnen. Dem ist nicht
so. Es werden nach wie vor neben den Fleißigen Träge, neben
den Willigen Eigenwillige stehen, und aus der Zeit vor dem
Kriege werden tausend Stimmen, die für den Augenblick
schweigen, bald wieder herüberklingen und uns statt der
Gebete das alte trübe Lied vom Geld, von der Not, vom
großem Wettkampf singen. Und neue Menschen werden
täglich geboren, denen wir unser Erlebnis nicht vererben
können, die mit den alten, urmenschlichen Trieben ihr Leben
in die Hand nehmen werden." (März, 1915)